ZEITUNGSBERICHTE

Frankfurter Rundschau, 23.12.2006, Seite 20:

Porträt

Täuschung als Profession

Von Georg Kronenberg (Marburg)

Gert Postel sitzt an seinem Schreibtisch in einem Mehrfamilienhaus am Fuße des Marburger Schlossbergs, stopft sich sorgfältig die Pfeife und gibt sich geheimnisvoll: „Ich will nicht viel Konkretes sagen, aber diese wunderbare Marburger Gesellschaft wird auch bald in ihren Spiegel schauen dürfen.“ Nächstes Jahr werde ein neues Buch mit Enthüllungen über die Psychiatrie im Allgemeinen und Marburg im Besonderen erscheinen, kündigt der 48-Jährige mit charmanten, jugendlich wirkenden Lächeln an. Auf Nachfrage gibt er sich zugeknöpft:“ Es geht ja auch nicht jeden alles an.“ In seiner Hochstapler-Karriere hat der gelernte Postbote mit Hauptschulabschluss, der seit fünf Jahren in Mittelhessen lebt, beachtliche Täuschungsmanöver hingelegt. Der Briefträger praktizierte als Amtsarzt in Flensburg, als Stabsarzt bei der Bundeswehr und in der Privatklinik von Julius Hackethal. Pabst Johannes Paul II. gewährte ihm eine Privataudienz. Über Deutschland hinaus bekannt wurde der gebürtige Bremer durch seine Anstellung als leitender Oberarzt im sächsischen Maßregelvollzug: eineinhalb Jahre arbeitete Postel in der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Zschadraß bei Leipzig – und war dabei auch als Gerichtsgutachter tätig. Im Juli 1997 flog er auf, nicht mangels Fachkenntnis – er war aus seiner Amtsarzt-Zeit wiedererkannt worden. 1999 wurde er dafür in Leipzig zu vier Jahren Haft verurteilt. Postel: „ Von dem selben Gericht, das mich in meiner Zeit als Oberarzt als Sachverständigen für psychiatrische Gerichtsgutachten überaus schätzte“. Nach der vorzeitigen Entlassung 2001 veröffentlichte er die „Geständnisse eines Hochstaplers“ und dem Titel „Doktorspiele“. Diese Abrechnung mit dem Psychiatriebetrieb, dem Postel selbst die Daseinsberechtigung abspricht, macht ihn zum Helden der Antipsychiatriebewegung.

Die „Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener“ ernannte ihn zum Schirmherrn. Die Psychiatriekritik ist noch sein Thema. „Ich habe mich während meines Rollenspiels oft als Hochstapler unter Hochstaplern gefühlt“, sagt der wortgewandte Mann, der Krankheitsbegriffe wie „bipolare Depression dritten Grades“ erfunden hat. Nein, mit der Verwandlung zum Psychiatrie-Oberarzt habe er keine Menschen getäuscht, sondern“ Täuschungen sichtbar gemacht und aufgehoben“. Für ihn ist Psychiatrie „schlimmste Manipulation und - teils zwangsweise – Entmündigung hilflos gemachter Menschen“.

Die Verurteilung wegen Betruges und Urkundenfälschung mag er deshalb auch möglichst nicht mehr erwähnt sehen. Das gebe dem Ganzen so einen „Beigeschmack“, sagt er. Mit seinen Bluffs, seinen Verwandlungskünsten und der Bloßstellung des Psychiatriebetriebes habe er schließlich „ein Kunstwerk geschaffen“. Daran arbeitet er noch immer: Im Sommer verbreitete ein falscher Bremer Theatersprecher die Ente, dass der Regisseur Leander Haußmann Postels Lebensgeschichte auf die Bühne bringen wolle. Und für seine Marburger Lesung am 19. Januar warb Postel per Telefon – als ZDF-Reporter, der den Kollegen Tipps gibt: „ Die Lesung wäre doch eine prima Geschichte für sie!“

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